Dr. Matthias Stiehler

Mutter Teresa — das Unheilige einer Heiligsprechung

Am 4. Sep­tem­ber 2016 soll Mut­ter Tere­sa hei­lig­ge­spro­chen werden.

Hei­lig­spre­chung ist eine Idee des katho­li­schen Glau­bens. Sie kann für wahr gehal­ten wer­den oder auch nicht. Jeden­falls äußert sich in ihr eine exis­ten­zi­el­le Sehn­sucht des Men­schen. Und sie ist es auch, die dazu führt, dass sogar die Tages­schau von die­ser Ent­schei­dung berich­tet. Es äußert sich dar­in der Traum vom wirk­lich guten Menschsein.

Wir wis­sen alle — zumin­dest, wenn wir in einer stil­len Stun­de ehr­lich zu uns sind — dass wir oft hin­ter unse­ren eige­nen Ansprü­chen her­hin­ken. Wir wis­sen, dass wir längst nicht so gut sind, wie wir eigent­lich sein wol­len. Damit sind nicht die Erfol­ge gemeint, nicht der nar­ziss­ti­sche Anspruch. Viel­mehr geht es um unser wirk­li­ches Gutsein.

Die Iro­nie, die hin­ter dem Begriff “Gut­mensch” steckt ist mit die­ser Ein­sicht zwei­ge­sich­tig. Zum einen wis­sen wir, dass alle Anstren­gun­gen nicht dazu füh­ren, ein wirk­li­cher Gut­mensch zu sein. Daher trifft die, die so tun, als sei­en sie bes­ser als ande­re (mit recht) unse­re Skep­sis. Zum ande­ren aber steckt in der Abwer­tung die­ses Begriffs sicher auch ein wenig die Ent­täu­schung über die eige­ne Unvollkommenheit.

Eine Hei­lig­spre­chung — zumal einer so bekann­ten Per­son wie Mut­ter Tere­sa — ist jedoch frei von die­ser Iro­nie. Hier äußert sich die unver­stell­te Sehn­sucht, dass es wenigs­tens ein paar Men­schen auf die­ser Welt gibt, die wirk­lich so gut sind, wie wir es uns wün­schen. In die­sem Sinn ist die Pra­xis der Hei­lig­spre­chung auch für einen Pro­tes­tan­ten wie mich sehr gut zu verstehen.

Es gibt aber einen deut­li­chen Schat­ten bei die­sem Tun. Denn er mys­ti­fi­ziert das Leben eines Menschen.

Mag sein, dass Mut­ter Tere­sa wirk­lich Gro­ßes geleis­tet hat. Aber den­noch war sie kein bes­se­rer Mensch als wir alle ande­ren auch. Ihre See­le hat­te dunk­le Sei­ten, sie wird Nöte gekannt und sich auch an vie­len Men­schen schul­dig gemacht haben. Das ist ein­fach so.

Indem wir ande­re Men­schen ver­klä­ren, wer­den wir ihnen nicht nur nicht gerecht, wir miss­brau­chen sie für unse­re Vor­stel­lun­gen und Sehn­süch­te. Das geschieht — zuge­ge­ben — nicht nur bei den Hei­li­gen. Es wird mit vie­len Stars und Pro­mi­nen­ten gemacht. Der Unter­schied ist, dass sich die gestor­be­nen Hei­li­gen nicht mehr weh­ren kön­nen — und sei es, indem sie sich mal gar nicht so hei­lig verhalten.

Das Buch »Ist Gott noch zu ret­ten?« beschreibt die zen­tra­le Bot­schaft des Chris­ten­tums: Es gibt kei­ne hei­li­gen Men­schen, es gibt kei­ne hei­li­ge Welt.

Mat­thi­as Stieh­ler
Ist Gott noch zu ret­ten?
Wor­an wir glau­ben können

Ver­lag tre­di­ti­on Ham­burg 2016

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