Dr. Matthias Stiehler

Pränataldiagnostik

Wenn Entscheidungen die menschliche Seele überfordern

Ich sah im TV mal wie­der eine Dis­kus­si­on über Prä­na­tal­dia­gnos­tik. Gemeint ist damit die geziel­te Suche nach Ent­wick­lungs­stö­run­gen und Gen­de­fek­ten des Unge­bo­re­nen. Die Kon­se­quen­zen sol­cher Unter­su­chun­gen kön­nen sein, dass die Eltern beru­higt sind, weil die Ergeb­nis­se in Ord­nung sind. In sel­te­nen Fäl­len kön­nen auch vor­ge­burt­li­che The­ra­pien erfol­gen. Manch­mal aber ste­hen die Eltern noch vor der Geburt des Kin­des vor der Fra­ge, ob sie es sich zutrau­en, mit einem behin­der­ten oder kran­ken Kind zu leben.

Schwie­rig ist zum einen, dass man­che Ergeb­nis­se nicht ein­deu­tig sind. Aber hier kön­nen wir sicher dar­auf ver­trau­en, dass sich die dia­gnos­ti­schen Mög­lich­kei­ten ver­bes­sern wer­den. Das eigent­li­che Pro­blem ist jedoch, dass die Ent­schei­dung, vor der die Eltern manch­mal ste­hen, unmensch­lich ist. Ent­schei­den Sie sich für das Kind trotz der auf­ge­zeig­ten Gefahr einer Schä­di­gung, könn­ten sie dies in Zei­ten mas­si­ver Über­for­de­rung immer ein­mal wie­der bereu­en. Es war ja kein unab­wend­ba­res Schick­sal, das sie nun ertra­gen müs­sen. Wer kann für sich garan­tie­ren, dass neben der Lie­be zum Kind nicht auch Hass aufkommt?

Auf der ande­ren Sei­te ist ein Schwan­ger­schafts­ab­bruch immer eine Tötung eines poten­zi­el­len Men­schen und damit auch nicht so locker zu ver­ar­bei­ten, wie es uns unse­re moder­ne Gesell­schaft oft­mals vor­macht. Auch hier könn­ten sich die Eltern immer mal wie­der fra­gen, ob es wirk­lich die rich­ti­ge Ent­schei­dung war.

Es geht bei sol­chen Fra­gen nicht um Lap­pa­li­en. Es sind im wört­li­chen Sinn exis­ten­zi­el­le Ent­schei­dun­gen, die den Eltern abver­langt wer­den. Und auch wenn sich viel­leicht man­che weni­ger Gedan­ken als ande­re machen, kann ich es den­noch grund­sätz­lich nicht als gut anse­hen, dass Eltern über­haupt vor sol­che Ent­schei­dun­gen gestellt werden.

Ich weiß natür­lich, dass sich die­se Tür nicht mehr schlie­ßen lässt. Den­noch muss es aber auch erlaubt sein, den Irr­sinn, in den wir uns mit unse­rer wis­sen­schaft­lich-tech­ni­schen Ent­wick­lung “für das Wohl der Men­schen” ein­bro­cken, zu kri­ti­sie­ren. Auf jeden Fall soll­ten wir nicht glau­ben, dass wir uns nicht neue, manch­mal gewal­ti­ge­re Pro­ble­me ein­han­deln, wenn wir ver­su­chen, eine pro­blem­freie­re Welt zu schaffen.

Mat­thi­as Stieh­ler
Ist Gott noch zu ret­ten?
Wor­an wir glau­ben können

Ver­lag tre­di­ti­on Ham­burg 2016

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